Michael Reisch - Architekturfotografie


Vollständiges Interview: koeln-architektur.de, 11-2015

http://www.koelnarchitektur.de/pages/de/news-archive/13018.htm

Auszug Interview:

Bilden Sie Architektur ab, oder übersetzen Sie das Gebaute in eine Bildsprache?

Eine häufige Sicht auf Architekturfotografie ist die Reduktion auf einen abbildenden, architektur-dokumentarischen Ansatz, der besagt, dass Objekte und Sachverhalte so abgebildet werden können „wie sie sind“, naturgetreu, im Sinne einer Objektivierung. Das ist natürlich diskutierbar, denn es kann immer nur Sichtweisen z.B. eines Gebäudes geben, und auch das Dokumentarische ist zwangsläufig immer eine Frage des eingenommenen Standpunkts. Aber immer geht ein dokumentarischer Ansatz vom Gebäude als physikalisches Etwas in einer physikalischen Umgebung aus, dessen Existenz belegt werden soll.

Was ich versuche ist aber etwas grundsätzlich anderes, ich versuche nicht das „physikalische Objekt“, sondern vielmehr den „Entwurf“ zu fotografieren, oder besser gesagt ein Bild hierfür zu entwickeln, das ist ein ganz erheblicher Unterschied im Denken und in der Herangehensweise. Ich würde das eher als eine Art von Visualisierung bezeichnen, denn als Abbildung.

Das hängt auch damit zusammen, was Architektur überhaupt ist. Architektur erscheint in unterschiedlichen Formen, als Entwurfsgedanke, als maßstäbliches Modell, als 3D-Rendering, als Theorie oder Teil eines Diskurses, und natürlich als das Gebaute, das ist ja fast immer Ziel und Zweck des Ganzen, aber das Gebaute ist eben eine mögliche! Erscheinungsform von Architektur, und ein Architekturfoto ist eine weitere mögliche! Erscheinungsform, nicht des Gebäudes sondern der Architektur. Ich betrachte das Bild in diesem Sinne als eher entkoppelt, als eigenständige Einheit, und nicht als reines Zeichen, als Abbildung von Fassaden und Mauern.

In den letzten Jahren sieht man auch in den Architekturzeitschriften belebte Bilder. Eine Tendenz, die Sie begrüßen?

Diese Entwicklung beobachte ich besonders interessiert, auch bei meinen eigenen Bildern. Noch vor 10 -15 Jahren ging es um Fotos möglichst ohne Menschen. Zu analogen Zeiten haben wir oft Stunden auf den „freien“ Moment gewartet, das hat sich sehr geändert, jetzt kann es mitunter nicht belebt genug zugehen.

Diese neue Entwicklung hat viel mit dem Auflösen von Hierarchie zu tun, eine abgebildete Person gibt der Architektur im Bild einen menschlichen Maßstab, im wörtlichen Sinne. Sie holt die Architektur näher an uns alle heran, Mensch und Architektur werden in ein überschaubares Verhältnis zueinander gestellt und man sieht auf einen Blick, dass beide zusammengehören. Das ist ein Kerngedanke von Architektur wie ich sie verstehe, und der findet momentan in vielen Bildern seinen expliziten Ausdruck. Es sind, wenn sie gelingen, zeitgemäße, aus dem heutigen, jetzigen Architekturverständnis geborene Bilder, die momentan so und nicht anders gemacht werden müssen, und die in vielen zeitgenössischen Auftragsarbeiten im Architekturfotografie-Bereich einen festen Platz haben.

Ich für meinen Teil arbeite bei Auftragsarbeiten mit einer gesunden, ausgewogenen Mischung aus reinen Architekturaufnahmen, die der Sache einen abstrakten und manchmal fast aus der Zeit gelösten, nachhaltigen Aspekt geben; und kontextualisierten Aufnahmen, die die Architektur einbetten und in ihrer vollen Funktion und Aktualität zeigen.